Sunday, May 12, 2013

Archaischer Torso Apollos / Archaic Torso of Apollo (Rainer Maria Rilke)

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt, 
darin die Augenäpfel reiften. Aber 
sein Torso glüht wie ein Kandelaber, 
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt, 

sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug 
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen 
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen 
zu jener Mitte, die die Zeugung trug. 

Sonst stünde dieser Stein enstellt und kurz 
unter der Schultern durchsichtigem Sturz 
und flimmerte nicht wie Raubtierfelle; 

 und bräche nicht aus allen seinen Rändern 
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle, 
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern. 


We never knew his lost unheard-of head,
in which the eyes grew ripe like apples. But
his torso glimmers like a chandelier,
in which his gazing, only slightly dimmed,

abides and gleams; or else his breast's proud jut
could not so blind you; in the light-turned lines
of loins there could not be a smile that ran
down to the point where procreation dwelt.

Instead this stone would stand defaced, cut off
beneath the sheer bright crossbeam of the shoulders,
and would not glisten like a tiger's skin,

and would not thus break forth from all its edges,
burst like a star: for there is no place here
that does not see you. You must change your life.

Sonnets to Orpheus I.21 (Rainer Maria Rilke)

Frühling ist wiedergekommen. Die Erde 
ist wie ein Kind, das Gedichte weiß; 
viele, o viele ... Für die Beschwerde 
langen Lernens bekommt sie den Preis. 

Streng war ihr Lehrer. Wir mochten das Weiße

an dem Barte des alten Manns.

Nun, wie das Grüne, das Blaue heiße,

dürfen wir fragen: sie kanns, sie kanns! 

Erde, die frei hat, du glückliche, spiele
n
un mit den Kindern. Wir wollen dich fangen,

fröhliche Erde. Dem Frohsten gelingts. 

O, was der Lehrer sie lehrte, das Viele,

und was gedruckt steht in Wurzeln und langen

schwierigen Stämmen: sie singts, sie singts! 


Spring has returned, and the earth restored
is just like a child who has memorized songs,
many and many, and earns her reward
for the labor of learning so long.

Her teacher was stern. We liked the white sheen
on the beard of the elderly man.
Now we may ask her the word for green
and the word for blue: she can say, she can!

Earth, rejoicing in freedom, come play
now with the children. We want to hold on
to you, glad earth. The gladdest are kings.

O, those many things that the teacher would say,
and what stands printed in roots and in long
and knotty stems: she sings it, she sings!

Friday, May 10, 2013

Abend / Evening (Rainer Maria Rilke)

Der Abend wechselt langsam die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
du schaust: und von dir scheiden sich die Länder,
ein himmelfahrendes und eins, das fällt;

und lassen dich, zu keinem ganz gehörend,
nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt,
nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt—

und lassen dir (unsäglich zu entwirrn)
dein Leben bang und riesenhaft und reifend, 
so dass es, bald begrenzt und bald begreifend, 
 abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn. 


The evening slowly dresses, as a verge
of ancient trees holds up its dusky gown;
you look on: and from you two lands diverge,
one that goes heavenward, one that falls down;

and leave you not belonging quite to either,
not quite as dark as houses in still times,
not quite as surely conjuring Forever
as that which turns to star each night and climbs—

and leave to you (unutterable to undo)
your life, uneasy, huge and ripening, blending
so that it, now confined, now comprehending,
becomes by turns a stone and star in you.

Einsamkeit / Solitude (Wilhelm Müller)

Musical setting by Franz Schubert

Wie eine trübe Wolke 
Durch heit’re Lüfte geht, 
Wenn in der Tanne Wipfel
Ein mattes Lüftchen weht:

So zieh ich meine Straße
Dahin mit trägem Fuß,
Durch helles, frohes Leben
Einsam und ohne Gruß.

Ach, daß die Luft so ruhig!
Ach, daß die Welt so licht!
Als noch die Stürme tobten,
War ich so elend nicht.


Just as a murky vapor
Drifts through the air serene,
When in the fir tree’s branches
The languid breezes keen,

So do I in my passage
Go forth with listless feet,
Through life that’s fair and joyous,
Alone with none to greet.

Alas for the air so peaceful,
The world’s bright loveliness!
When still the storms were raging,
My misery was less.